Aus Holzknecht

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| autor = Winfried Hofinger
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| erscheinungsdatum= 25. November 1987
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[[Datei:Opa wald 1987.jpg|thumb|340px]]"Bitte, bitte, Opa, erzähl uns, wie das war, damals vor zwanzig Jahren." "Wenigstens heute könntet ihr den alten Mann damit in Ruhe lassen", sagten die Eltern.
[[Datei:Opa wald 1987.jpg|thumb|340px]]"Bitte, bitte, Opa, erzähl uns, wie das war, damals vor zwanzig Jahren." "Wenigstens heute könntet ihr den alten Mann damit in Ruhe lassen", sagten die Eltern.
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Opa war Forstmann gewesen, bei einer Behörde. Alle paar Jahre schrieb er für seine Bezirkszeitung einen Artikel: Daß der Wald nicht mehr gesund sei. Weil ihm nicht geglaubt wurde, resignierte er mit der Zeit, wie die meisten seiner Kollegen. Nach einer Reise durch Polen oder die Tschechei nahm er sich jeweils wieder vor, noch einen Artikel zu schreiben und seine verstaubenden Lichtbilder auf den neuesten Stand zu bringen. Mit der Zeit aber war niemand mehr auf seine Artikel und auf seine Dias scharf, weil er ja doch immer nur das gleiche
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Opa war Forstmann gewesen, bei einer Behörde. Alle paar Jahre schrieb er für seine Bezirkszeitung einen Artikel: Daß der Wald nicht mehr gesund sei. Weil ihm nicht geglaubt wurde, resignierte er mit der Zeit, wie die meisten seiner Kollegen. Nach einer Reise durch Polen oder die Tschechei nahm er sich jeweils wieder vor, noch einen Artikel zu schreiben und seine verstaubenden Lichtbilder auf den neuesten Stand zu bringen. Mit der Zeit aber war niemand mehr auf seine Artikel und auf seine Dias scharf, weil er ja doch immer nur das gleiche sagte: Die Lage ist ernst und es wird mit uns ein schlimmes Ende nehmen.
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sagte. Die Lage ist ernst und es wird mit uns ein schlimmes Ende nehmen.
 
"Erzähl uns Opa, wie das damals war, wie es noch lebendige Christbäume gegeben hat." - "Ja, laßt die Kinder nur fragen, und laßt mich reden, mir ist dann auch wieder besser." - "Ja, aber ausgerechnet heute, zu Weihnachten. Gibt es da kein erfreulicheres Thema als das?" - "Es tut uns keines sonst so weh, aber ich muß einfach davon reden:
"Erzähl uns Opa, wie das damals war, wie es noch lebendige Christbäume gegeben hat." - "Ja, laßt die Kinder nur fragen, und laßt mich reden, mir ist dann auch wieder besser." - "Ja, aber ausgerechnet heute, zu Weihnachten. Gibt es da kein erfreulicheres Thema als das?" - "Es tut uns keines sonst so weh, aber ich muß einfach davon reden:
Vor gut zwanzig Jahren, als eure Eltern etwa so alt waren wie ihr es jetzt seid, da fing all das an." - "War das damals, wie sogar der Bundespräsident Waldheim geheißen hat und alle gesagt haben, der Wald müßte gerettet werden?" - "Ja damals, vor zwanzig Jahren. Da war in vielen Ländern, die mehr Fabriken hatten als wir, die aber keine so steilen Berge haben wie wir, der Wald schon tot oder beim Absterben." "Habt ihr in Österreich das von den anderen Ländern gewußt?"
Vor gut zwanzig Jahren, als eure Eltern etwa so alt waren wie ihr es jetzt seid, da fing all das an." - "War das damals, wie sogar der Bundespräsident Waldheim geheißen hat und alle gesagt haben, der Wald müßte gerettet werden?" - "Ja damals, vor zwanzig Jahren. Da war in vielen Ländern, die mehr Fabriken hatten als wir, die aber keine so steilen Berge haben wie wir, der Wald schon tot oder beim Absterben." "Habt ihr in Österreich das von den anderen Ländern gewußt?"
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"Es gab fast keine Muren ..."
 
"Ja freilich, ich bin mit dem Forstverein ja oft in den Osten gefahren. Damals konnte noch jeder, der das wollte, mit einem Auto durch das Inntal fahren. Es gab fast keine Muren. Alle paar Jahre kam eine Skipiste herunter, aber alle anderen Hänge waren mit dichtem Wald bewachsen." - "Jetzt erzählst du wieder ein Märchen, Opa. Sind damals nicht auch bei jedem Gewitter ein paar hundert Muren abgegangen?" - "Nein, sicher nicht. Wenn es geregnet hat, haben sich alle gefreut, weil dann das Gras noch besser gewachsen ist als vorher, und die Bäume auch. Manche haben sogar gemeint, daß es für die Bäume besser sei, je mehr es regnet. Was im Regen an Gift drinnen war, das konnten oder wollten sie nicht sehen. Der Schnee hat nicht nur die Kinder gefreut. Die paar Lawinen pro Jahr, die kannte man so gut, daß jede von ihnen einen Namen hatte. Sie waren nicht breiter und nicht gefährlicher als ein Bach ..." - "Was so kleine Lawinen hat es gegeben?" "Ja, und in den Wäldern - ihr wißt aus dem Märchenbuch, was ein Wald ist - da wuchsen mehr Bäume als man gebraucht hat, und jede Familie hatte zu Hause einen Christbaum aus Holz und mit echten, gut riechenden Nadeln darauf." - "Ich tät jeden einsperren, der einen gesunden Baum ausreißt oder abschneidet." "Aber, dummer Bub, man hat damals mehr Bäume gepflanzt, als nötig waren, sie sind fast alle angewachsen; und dann hat man die überzähligen abgeschnitten, damit die verbleibenden genug Luft, Licht und Wasser bekommen würden."
"Ja freilich, ich bin mit dem Forstverein ja oft in den Osten gefahren. Damals konnte noch jeder, der das wollte, mit einem Auto durch das Inntal fahren. Es gab fast keine Muren. Alle paar Jahre kam eine Skipiste herunter, aber alle anderen Hänge waren mit dichtem Wald bewachsen." - "Jetzt erzählst du wieder ein Märchen, Opa. Sind damals nicht auch bei jedem Gewitter ein paar hundert Muren abgegangen?" - "Nein, sicher nicht. Wenn es geregnet hat, haben sich alle gefreut, weil dann das Gras noch besser gewachsen ist als vorher, und die Bäume auch. Manche haben sogar gemeint, daß es für die Bäume besser sei, je mehr es regnet. Was im Regen an Gift drinnen war, das konnten oder wollten sie nicht sehen. Der Schnee hat nicht nur die Kinder gefreut. Die paar Lawinen pro Jahr, die kannte man so gut, daß jede von ihnen einen Namen hatte. Sie waren nicht breiter und nicht gefährlicher als ein Bach ..." - "Was so kleine Lawinen hat es gegeben?" "Ja, und in den Wäldern - ihr wißt aus dem Märchenbuch, was ein Wald ist - da wuchsen mehr Bäume als man gebraucht hat, und jede Familie hatte zu Hause einen Christbaum aus Holz und mit echten, gut riechenden Nadeln darauf." - "Ich tät jeden einsperren, der einen gesunden Baum ausreißt oder abschneidet." "Aber, dummer Bub, man hat damals mehr Bäume gepflanzt, als nötig waren, sie sind fast alle angewachsen; und dann hat man die überzähligen abgeschnitten, damit die verbleibenden genug Luft, Licht und Wasser bekommen würden."
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Wenn Opa aus der Zeit erzählte, da er und seine Freunde noch Waldbau, Bestandespflege und Holzernte (wie man damals den Baummord genannt hat) betrieben hatten, da merkte man ihm an, wie sehr ihn sein Beruf einmal gefreut hatte und wie er unter dem Ende der alpenländischen Forstwirtschaft litt. Je älter er wurde, um so sicherer mußte er am Ende seiner Erzählungen weinen. Das wußten seine Kinder, eigentlich auch die Enkel. Nicht weil sie ihn quälen wollten, sondern weil sie jedesmal doch an einen guten Ausgang der Geschichte glaubten, baten die Enkel immer wieder um dieselben Einzelheiten. Opa war nach dem Ende seiner Erzählung immer wieder leichter ums Herz, trotz der dabei vergossenen Tränen.
Wenn Opa aus der Zeit erzählte, da er und seine Freunde noch Waldbau, Bestandespflege und Holzernte (wie man damals den Baummord genannt hat) betrieben hatten, da merkte man ihm an, wie sehr ihn sein Beruf einmal gefreut hatte und wie er unter dem Ende der alpenländischen Forstwirtschaft litt. Je älter er wurde, um so sicherer mußte er am Ende seiner Erzählungen weinen. Das wußten seine Kinder, eigentlich auch die Enkel. Nicht weil sie ihn quälen wollten, sondern weil sie jedesmal doch an einen guten Ausgang der Geschichte glaubten, baten die Enkel immer wieder um dieselben Einzelheiten. Opa war nach dem Ende seiner Erzählung immer wieder leichter ums Herz, trotz der dabei vergossenen Tränen.
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"So um 1980 hat alles angefangen ..."
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So um 1980 hat alles angefangen
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"In der Zeit, da eure Eltern noch Kinder waren, so um 1980, hat alles angefangen. Auch bei uns. Wir haben es damals schon Waldsterben genannt, obwohl uns die Politiker nahegelegt haben, nur von einer Walderkrankung zu sprechen. Man sagte bei uns auch nicht, wie in anderen Ländern, Schadensinventur, sondern nur Zustandserhebung. Das al-les sind für so kleine Kinder, wie ihr das seid, sehr schwierige Worte, aber was ich sagen will ist dies: Alle, die damals etwas zu sagen gehabt hätten, die haben die Sache so klein wie möglich gezeichnet, so, wie wenn man etwas mit einem umgekehrten Fernrohr anschaut. Ich weiß bis heute nicht warum." - "Aber Opa, damals hat es doch noch sogenannte freie Wahlen gegeben. Warum haben die Leute denn die Politiker, die ihnen Sand in die Augen gestreut haben, nicht einfach abgewählt?" -"Die Leute waren sehr zufrieden mit dem, was sie hörten. Hätte einer gesagt, wie ernst die Lage ist, dann hätte er zugleich auch von uns allen verlangen müssen, daß wir auf vieles verzichten. Wir hätten nicht mehr unbeschränkt mit dem Auto fahren können. Wir hätten beim Energieverbrauch sparen müssen. Und weil das keiner wollte, hat es keiner von den gewählten Politikern laut gesagt. Sonst wäre er ja nicht wiedergewählt worden. An dieser ständigen Lüge ist dann nicht nur der Wald, sondern auch unser altes politisches System, die sogenannte Demokratie, zugrundegegangen. Aber das ist auch schon wieder viel zu kompliziert für euch. Außerdem hat es die ökofaschistische Regierung nicht gern, wenn man davon redet. Ich will euch vom Wald erzählen:
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In der Mitte der achtziger Jahre, da war die große Zeit des Messens. Da haben alle Behörden und alle Versuchsanstalten immer und immer wieder gemessen, was die Luft an Giftstoffen enthielt. Zuerst hat man den Schwefel gemessen - wohl, weil der so leicht zu messen ist. Dann hat man sich auf die Autoabgase verlegt, dann wieder auf andere. Je nach dem, was gerade Mode war. Manche haben weniger gemessen, sondern einfach die Bäume angeschaut und gesagt, das gefällt ihnen schon lange nicht mehr. Denen haben es die Wissenschaftler
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"In der Zeit, da eure Eltern noch Kinder waren, so um 1980, hat alles angefangen. Auch bei uns. Wir haben es damals schon Waldsterben genannt, obwohl uns die Politiker nahegelegt haben, nur von einer Walderkrankung zu sprechen. Man sagte bei uns auch nicht, wie in anderen Ländern, Schadensinventur, sondern nur Zustandserhebung. Das alles sind für so kleine Kinder, wie ihr das seid, sehr schwierige Worte, aber was ich sagen will ist dies: Alle, die damals etwas zu sagen gehabt hätten, die haben die Sache so klein wie möglich gezeichnet, so, wie wenn man etwas mit einem umgekehrten Fernrohr anschaut. Ich weiß bis heute nicht warum." - "Aber Opa, damals hat es doch noch sogenannte freie Wahlen gegeben. Warum haben die Leute denn die Politiker, die ihnen Sand in die Augen gestreut haben, nicht einfach abgewählt?" -"Die Leute waren sehr zufrieden mit dem, was sie hörten. Hätte einer gesagt, wie ernst die Lage ist, dann hätte er zugleich auch von uns allen verlangen müssen, daß wir auf vieles verzichten. Wir hätten nicht mehr unbeschränkt mit dem Auto fahren können. Wir hätten beim Energieverbrauch sparen müssen. Und weil das keiner wollte, hat es keiner von den gewählten Politikern laut gesagt. Sonst wäre er ja nicht wiedergewählt worden. An dieser ständigen Lüge ist dann nicht nur der Wald, sondern auch unser altes politisches System, die sogenannte Demokratie, zugrundegegangen. Aber das ist auch schon wieder viel zu kompliziert für euch. Außerdem hat es die ökofaschistische Regierung nicht gern, wenn man davon redet.  
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aber gegeben - was das für eine Aussage wäre, mir gefällt es nicht mehr recht! Obwohl es damals schon ganz eindeutige Waldzustandserhebungen gab, die belegten, wie ernst die Lage ist, und obwohl man schon lange wußte, daß das Auto der Haupttäter ist, hat es für das Autofahren noch immer Steuerbegünstigungen gegeben und sogar Autorennen, mit Lastwagen wie mit eigenen Rennautos, hat es gegeben. Sogar hohe Politiker haben gesagt, daß die Autorennen eine feine Sache sind, viel lustiger als Langlaufen.
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Ich will euch vom Wald erzählen
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In der Mitte der achtziger Jahre, da war die große Zeit des Messens. Da haben alle Behörden und alle Versuchsanstalten immer und immer wieder gemessen, was die Luft an Giftstoffen enthielt. Zuerst hat man den Schwefel gemessen - wohl, weil der so leicht zu messen ist. Dann hat man sich auf die Autoabgase verlegt, dann wieder auf andere. Je nach dem, was gerade Mode war. Manche haben weniger gemessen, sondern einfach die Bäume angeschaut und gesagt, das gefällt ihnen schon lange nicht mehr. Denen haben es die Wissenschaftler aber gegeben - was das für eine Aussage wäre, mir gefällt es nicht mehr recht! Obwohl es damals schon ganz eindeutige Erhebungen gab, die belegten, wie ernst die Lage ist, und obwohl man schon lange wußte, daß das Auto der Haupttäter ist, hat es für das Autofahren noch immer Steuerbegünstigungen gegeben und sogar Autorennen, mit Lastwagen wie mit eigenen Rennautos, hat es gegeben. Sogar hohe Politiker haben gesagt, daß die Autorennen eine feine Sache sind, viel lustiger als Langlaufen.
"Enteignet wurde erst später ..."
"Enteignet wurde erst später ..."
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[[Kategorie:Tiroler Bauernzeitung]]
[[Kategorie:Waldsterben]]
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[[Kategorie:Weihnachten]]
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[[Kategorie:1987]]
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Version vom 21:00, 20. Feb. 2014

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